(Un)Heavy Metal




Wenn Du heutzutage ein puristisches Krad legal auf die Pneus stellen willst, führt kein Weg an ältlichem Ausgangs-Material vorbei. Problem an der Sache: Nachkriegs-Geraffel zieht keinen teflonbeschichteten Hering vom geölten Teller und du kommst selbst bei Vollgasfahrten in 30er-Zonen nicht in den Gefahrenbereich des Fahrerlaubnis-Entzugs. Wandert man die Zeitachse in Richtung Gegenwart entlang, bis man auf potentes Gerät stößt, findet man sich ganz fix in der bürokratischen Geiselhaft von restriktiver E-Normen und Emissions-Notorik wieder.




Das Zeitfenster der verwertbaren Schnittmenge ist also sehr klein. Amtliches Gestühl mit Hubräumen jenseits des Inhalts einer Faxe-Dose erschien erst Anfang der Achtziger. Nur ein halbes Jahrzehnt später sorgen alsbald Phonwerte, Abgasvorschriften und Regeln wie „Lenkerendenblinker nur mit hinteren“ oder „2 Spiegel Minimum und groß wie Suppenkellen“ für Komplikationen. Unter anderem deswegen haben wir die GSX-Ruine auch nie entsorgt. Ein altvorderer Rahmen mit ordentlich Hubraum und Leistung im Schein sowie viel Platz im Rahmen, ist nie verkehrt. Solche Geräte wachsen halt nicht nach





Als wir per Zufall an einen AT-Motor aus einer Katana geraten sind (0815 Bandit oder GSX-R Transplantate kamen nie in Frage), der die Mühe des Aufbaus wert zu sein schien, sind wir die Sache angegangen. Von der optischen Komponente abgesehen, sollte die Sache auch technisch sehr speziell werden. Und nachdem wir inzwischen ein gutes halbes Dutzend Mopeten ans Einspritzen gebracht haben, war die Sache schnell klar: der Oldie sollte eine topmoderne elektronische Motorsteuerung bekommen. Der Kontrast war einfach zu reizvoll: ältlicher rollengelagerter Motor mit High-Tech-Peripherie. Geil, machen wir. Unserem minimalistischen Grundtrieb kam das ebenfalls zu Pass (auch wenn das erst einmal widersprüchlich klingt). Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht ahnten, war der exorbitante Aufwand hinter der Nummer. Volle drei Jahre hat die Reinkarnation verschlungen. In Stunden nicht messbar.





Das Krad haben wir dermaßen Massen-geizig aufgebaut, dass man sich bei seinem Anblick zuweilen fragt „da fehlt doch was?!“. Die gelinden Vorschriften des 83er Jahrgangs machen es möglich und wurden voll ausgeschöpft: Keine Blinker hinten, nur ein Spiegel, kein E-Zwang beim Kamin und die Möglichkeit relativ freien Ein- und Ausatmens. Frei atmen kann dadurch auch die Optik, die vor Leerräumen nur so strotzt, was wir durch ausgeklügeltes Anordnen der Komponenten unterstützt haben.



Bei den Oberflächen war „Metall“ das Leit-Thema. Polierter Motor, galvanisch beschichtete Kniebereiche am Tank sowie eine durchgehende Lackierung mit der Anmut sandgestrahlten Aluminiums, abgesetzt mit etwas Schwarz beglücken die Retina. Alles so clean wie nur möglich, eingerahmt von fließenden Konturen und Übergängen.



Elektrisch ist die Dame voll auf Höhe der Zeit – und weit darüber hinaus. Der Minimal-Kabelbaum ist verlötet, die Sicherungs-Kreisläufe im Falle eines Falles selbstrückstellend. Automatik-Licht, schussfeste E-Boxen mit wasserdichten Aluminium-Gehäusen, Taster-Schaltung mit passend angefertigter Armatur, Motogadet-Tacho/DZM, Tankanzeige, LED-Scheinwerfer und -Rücklicht sowie ein Lambda-Instrument muss man auch 2022 lange suchen. Alles im Dienste des Fahrers. Der kann sich voll aufs Fahren konzentrieren und muss maximal die Blinker bedienen. Der elektrische Rest läuft automatisch im Hintergrund ab und erfordert keinerlei Einwirkung.



Beim Aufbau haben wir keine Kompromisse gemacht. Was ursprünglich als Low-Budget geplant war (wem wollten wir was vormachen?!), ist ziemlich schnell aus den Fugen geraten.





Das Fahrerlebnis entspricht einer Erlebnis-Zeitreise. Schon nach dem Anlaufen des Motors stellen sich die kleinen Härchen auf Unterarmen und Nacken auf. Das Grummeln des rein luftgekühlten und rollengelagerten Motors lässt keinen Zweifel aufkommen: Er lebt! Und zwar auf eine Art und Weise, wie es keiner der weichgespülten Neuzeit-Retro-Kastraten kann.



Die zeitgenössische Sitzposition leistet ihren Beitrag. Ja, so geht echtes Superbike-Feeling. Die Einlassventile sind lediglich durch die direkt angesteuerten Klappen von der Atmosphäre getrennt. Und wenn der Pilot die Schleusen öffnet, kündet gierig grollendes Ansaug-Grollen vom Verlangen des Langhubers nach Gemisch, begleitet vom tieftonigen Gesang des Edelstahl-4in1-Baritons. Schließt man die Tore, erzeugt die Motorbremse eine wohltuendes Geblubber in der 4in1. Alles explizit sozialverträglich. Nur 15-jährige Mädchen und seelenlose Wurstbuden müssen mit infernalischem Gekreische auf sich aufmerksam machen. Wahre Souveränität hat das nicht nötig. Schon nach den ersten hundert Metern steht man einfach nur noch über den Dingen. Fahren als Therapie, oktanbefeuerter Seelenfrieden.



Da macht auch das Fahrwerk keine Ausnahme. Die USD-Gabel nebst Bananenschwinge mitsamt ihren YSS Federbeinen bringen stoische Ruhe ins Geröhr. Die sanierte R-Bremsanlage mit radialer Pumpe hat keinerlei Mühe mit den stark reduzierten Massen. Da deren Schwerpunkt zudem extrem tief angesiedelt ist, fährt sich das Krad handlich wie ein Bonanza-Rad. Ja, das macht Freude, das macht Spaß.



Ein Relikt längst vergangener Zeiten, als Schulterpolster und Frotteeschweißbänder in waren, Arnold seine ersten Kino-Filme abdrehte und man sich in Pinten statt asozialen Hetzwerken traf. Eine Reminiszenz, die gleichzeitig beweist, dass auch heute noch pure und reine Dinge umsetzbar sind. Man muss es nur wirklich wollen, das Arschphone aus dem Fenster schmeißen und den eigenen Hintern hochbekommen.

TECHNISCHE DATEN


Suzuki GSX 1100 IE, EZ 1983


Motor:
Austausch-Motor, entlackt und poliert, frische Motordeckel, Kühlrippen verschliffen, Gußmarken entfernt, modifizierter Zylinder-Kopf für die Einspritzleiste, Temperatursensoren in Kopf und Fuß, 34mm Mikuni-Einspritzleiste mit 318ccm Bosch EV6-Ventilen, Mikuni-Benzindruckregler, Walbro Druckpumpe, 12mm-Billet-Rail, zentrales Ignijet-Steuergerät, 24-2 Triggerrad mit GSX-R 1000 Kurbelwellensensor, Map-Umschalter in Gabelbrücke, USB und RS232-Schnittstelle, Innovate AFR-Controller mit Bosch-LSU, Ferrari 412i-Benzinfilter-Einheit, Beru Power-Cable, HP-Zündspulen, halboffene Airbox mit K&N Dauerfilterelement, Megaphone 4in1 komplett aus Edelstahl, eingeschweißte Lambda-LSU-Aufnahme, dB-Eater

Rahmen:
vollständig saniert und neu aufgebaut, Nähte und Übergänge verzinnt und verspachtelt, Heckrahmen gekürzt und verstärkt, modulare Federbeinaufnahmen, Tankaufnahme für E-Modell-Tank. Rohre innenversiegelt

Fahrwerk:
Bananenschwinge, umgebaut für Stereo-Federbeine, Kunststoff-beschichtet, YSS Federbeine, Edelstahl-Achse, sanierte USD-Gabel mit Gabelcovern und versteckter Maskenaufnahme, Spiegler Superbike-Gabelbrücke (modifiziert), 28mm Riser, Rizoma 28mm Aluminium-Lenker, Fußrastenanlage Alu poliert, CNC-Kettenrad, 520er Kettensatz

Räder:
schwarz beschichtet
vorn: 120/70ZR17 auf 3.50x17
hinten: 160/70ZR17 auf 4.50x17

Bremse vorne:
Nissin Radialpumpe, Stahlflex-Leitungen, 320mm Scheiben mit 4-Kolben Sätteln (neu aufgebaut), Rizoma Pott, hinten: Nissin-Pumpe, Stahlflex-Leitung, starre Scheibe mit Einkolben-Sattel (überholt und neu bestückt), Brembo Ausgleichbehälter

Bodywork:
GSX 1100 E Tank, umgebaut für Einspritzung, Porsche 911 Edelstahl-Tankdeckel, Flanken galvanisch beschichtet, integrierter Tankgeber, Aluminium Catchtank mit Abscheider, Eigenbau-Höcker auf Racing-Basis, 2-teiliges Sitzpolster, Kotflügel vorne GFK-Eigenbau, hinten Aluminium mit VA-Halter

Elektrik:
linksseitige Alu-Taster-Einheit,zentrale E-Box, Minimal-Elektrik (komplett neu), Sicherungs-Automaten (selbstrückstellend), Automatik-Licht, verstärkte Lichtmaschine, 50A-Mosfet-Laderegler, Batterie unter der Schwinge, Motogadet motoscope light Kombi-Instrument, Innovate AFR-Anzeige, LED-Kontrollleuchten, Tankanzeige, Motortemperatur-Warnleuchte, Maske mit LED-Scheinwerfer und Aluminium-Schild, Tigereyes im Lenker ohne zusätzliche Blinker am Heck, Kellermann Mini-Rücklicht und Rizoma Kennzeicheneinheit in Höckerspitze

Lackierung:
Aluminium-Silber/Schwarz

Sonstiges:
Alu-CNC-Kettenrad, Eigenbau-Seitenständer

TÜV:
Das Krad ist komplett abgenommen und hat eine neue Betriebserlaubnis gemäß Vollabnahme nach §21erhalten