Standgericht

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Ob es im Falle eines Falles von Tante Justitia einen Satz heiße Ohren gibt, hängt nicht nur vom jeweiligen Tatbestand als solchen ab, sondern auch von dessen legitimer Ermittlung. Denn wenn sich der Beschuldigte nicht selber ins Verderben labert, sind konkrete und belastbare Beweise gefragt. Diese beizubringen hat es durchaus in sich und stellt den Schutzmann vor eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. Man tut deshalb gut daran, die Formalien möglichst gut zu kennen, denn sollte einmal Dresche drohen und die Erhebung nicht Gesetzes-konform abgelaufen sein, lässt sich an der Stelle ein brauchbarer Hebel für ein potentielles Widerspruchsverfahren ansetzen. Mit Recht.



Deshalb unser Tipp: werdet ihr mal aus dem Verkehr gekellt und zum Sound-Casting vor ein Mikro bestellt, dokumentiert das Unterfangen ausführlich. Was, warum und wie festgehalten werden sollte, bröseln wir vor dem Hintergrund der gesetzlichen Parameter zur Standgeräusch-Messung auf und legen im selben Atemzug genau diese da. Zwei Fliegen mit einer Auspuffklappe sozusagen.

Geregelt ist das anzuwendende Prozedere für die phonetische Erhebung im Papier mit dem schönen Namen

„VERORDNUNG (EU) Nr. 540/2014 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 16. April 2014 über den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen und von Austauschschalldämpferanlagen sowie zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG und zur Aufhebung der Richtlinie 70/157/EWG“

2019 erfuhr das Werk ein Update, welches jedoch die Standgeräuschmessung nicht berührt. Die 2014er Version ist diesbezüglich also immer noch gültig und die Grundlage, nach welcher die Exekutive (und natürlich auch TÜV und Co.) vorzugehen haben. Einfach drauflos-messen is` nämlich nicht.

Unter

„4.2. Messung des Standgeräusch“

ist die Sache umfassend nachzulesen, wir beschränken uns auf die für uns relevanten Punkte, damit es nicht zu unübersichtlich wird.

4.2.4. Störgeräusche und Windeinflüsse Der Pegel des Hintergrundgeräuschs (einschließlich Windgeräusch) muss mindestens 10 dB(A) unter dem zu messenden Geräuschpegel liegen.

Heißt: die Prüfstelle muss vor dem Moped-Casting eingemessen werden und der Platz muss relativ (konstant) ruhig sein. Positionen direkt an vielbefahrenen Straßen bringen kaum ordentliche Ergebnisse, da zum einen der Verkehrslärm potentiell zu hoch ist, was u.U. die 10 dB(A) Differenz vereitelt – und zum anderen durch die fluktuierende Hintergrundbeschallung das Einmessen nicht die Situation während der Prüfung wiedergibt. Ein paar Bilder, welche die Mess-Stelle sowie deren Umgebung festhalten, machen deshalb immer Sinn. Liegt sie z.B. an einer stark befahrenen Straße, so ist es nicht doof, ein Bild zu haben auf welchem neben dem Prüfaufbau auch die Straße nebst Verkehr zu sehen ist. So ein Bild lässt sich unauffällig aus einer stillen Ecke erledigen.

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Grundsätzlich ist zu Fotos zu sagen: wart das Recht auf das eigene, persönliche Bild. Heißt: verzichtet darauf, Personen so zu fotografieren, dass ihr Gesicht zu erkennen ist. Schräg von der Seite oder von hinten ist hingegen o.k.. Solltet ihr auf die Knippserei angesprochen werden, gebt zu Protokoll, dass ihr eurerseits präventiv eine Dokumentation des Vorgangs betreibt, die wichtig werden könnte, falls es zu einem Streitfall kommen sollte. Erwähnt ruhig explizit, dass ihr darauf achtet, dass keine Gesichter auf den Bildern landen. Das „wer“ spielt auch gar keine Rolle, es geht ausschließlich um das „wie“.

4.2.5.3.1. Anordnung des Mikrofons 4.2.5.3.1.1. Das Mikrofon ist in einem Abstand von 0,5 m ± 0,01 m […] und in einem Winkel von 45° ± 5° zur Strömungsachse beim Ende des Auspuffs aufzustellen. Das Mikrofon muss sich in Höhe des Bezugspunkts, mindestens jedoch 0,2 m über dem Boden befinden. […]

Abstand und Winkel werden in der Praxis bei jeder Messung justiert. Man kann davon ausgehen, dass in diesem Punkt nicht geschlampt wird. Wenn der Prüfer mit `nem Zollstock herumfuchtelt, braucht man an dieser Stelle nicht tätig werden. Die Maße anhand eines Fotos zu widerlegen ist eh praktisch unmöglich. Dennoch sollte man die Abstandsregel kennen und auch, dass der Winkel zur Strömungsachse passen muss, nicht zur Fahrzeug-Längs-Achse, was ergebnistechnisch einen eminenten Unterschied ausmachen kann.

4.2.5.3.2. Betriebsbedingungen des Motors 4.2.5.3.2.1. Solldrehzahl — 75 % der Drehzahl S bei einer Nenndrehzahl ≤ 5 000 min–1 — 3 750 min–1 bei einer Nenndrehzahl über 5 000 min–1 und unter 7 500 min–1 — 50 % der Drehzahl S bei einer Nenndrehzahl ≥ 7 500 min–1

Jetzt wird es interessant. Dass die Drehzahl eklatante Auswirkungen hat, dürfte klar sein. Deshalb ist darauf zu achten, dass diese nicht zu hoch gewählt wird. Da in unserem Kulturkreis 99,99% aller Kräder mehr als 7500 Umdrehungen fabrizieren, ist die 50%-Regelung der prominenteste Geselle. Wichtig ist: „Nenn-Drehzahl“, nicht Höchstdrehzahl, roter Bereich oder gar der Skala-Bereich des Instruments. Es gilt also ausschließlich der im Schein hinterlegte Wert. Den teilt man durch zwei und hat die Mess-Drehzahl.

4.2.5.3.2.2. Prüfverfahren Die Motordrehzahl ist allmählich von der Leerlaufdrehzahl bis zum Sollwert zu steigern und mit einer Toleranz von ± 3 % auf dem Sollwert zu halten. Dann ist die Drosseleinrichtung schlagartig in Leerlaufstellung zu bringen und die Motordrehzahl auf Leerlaufdrehzahl zurückfallen zu lassen. Der Geräuschpegel ist während eines Betriebszeitraums zu messen, der ein Halten auf Solldrehzahl während 1 Sekunde und die gesamte Dauer des Drehzahlabfalls umfasst. Der höchste Anzeigewert des Messgerätes während dieses Betriebszeitraums, mathematisch gerundet auf die erste Dezimalstelle, gilt als Prüfergebnis.

Übersetzt: Es wird langsam (!) das Gas geöffnet, bis die richtige Drehzahl erreicht ist. Erst jetzt beginnt die Messung, nicht vorher. Die Drehzahl wird 1 Sekunde lang gehalten und dann das Gas schlagartig losgelassen. Gemessen wird ausschließlich der Abschnitt vom Erreichen der Zieldrehzahl bis zum erfolgten Abtouren des Motors. Letzteres ist ganz nebenbei die Erklärung, warum z.B. offene BOV-Ventile an Turbos problematisch sind, denn diese lösen genau in dem Bereich aus und tragen somit zur Messung bei. Das gleiche gilt auch für Backfire-anfällige Auspuff-Anlagen. Knallt die Kiste beim Gas-Schließen wie eine China-Matte an Sylvester, zählen die Detonationen zur Messung. Und das wird angesichts des nächsten Punktes fatal:

4.2.6. Ergebnisse An jedem Messpunkt sind mindestens drei Messungen vorzunehmen. Der bei jeder der drei Messungen abgelesene höchste A-bewertete Schalldruckpegel ist festzuhalten. Zur Ermittlung des Ergebnisses für den jeweiligen Messpunkt werden die ersten drei aufeinanderfolgenden gültigen Messwerte (unter Berücksichtigung der die Beschaffenheit des Prüfgeländes betreffenden Bestimmungen von Abschnitt 3.1) herangezogen, die sich nach Streichung der ungültigen Werte ergeben und die in einem Bereich von nicht mehr als 2 dB(A) streuen. Als Endergebnis gilt der höchste Geräuschpegel aller Messungen an allen Messpunkten.

Eine einmalige Messung reicht also nicht! Tatsächlich müssen mindestens drei (noch dazu gültige, Fehlversuche zählen nicht!) Durchläufe erfolgen. Und die drei Ergebnisse müssen allesamt im einem Abweichungsfeld von maximal 2dB(A) liegen. Das ist insbesondere bei Messungen in Straßen-Nähe durchaus schwierig einzuhalten. Haltet also zum einen fest, ob tatsächlich drei Messungen durchgeführt werden und insbesondere deren jeweilige Ergebnisse. Es gilt der höchste Wert (oben erwähnte Knallgeräusche würden also voll reinhauen, selbst wenn die Tüte an sich sozialverträglich ist).

Die Dokumentation geht am besten, wenn ihr einen Zeugen habt der bis drei zählen und ggf. Aussagen über die erfolgten Durchläufe machen kann. Wenn die Sache sauber abläuft, muss mit der Post auch das Mess-Protokoll, bzw. zumindest die Ergebnisse der drei Durchläufe aufgeführt werden – ebenso das des Einmessens. Ist das nicht der Fall, darf man hier mal nachhaken. Da Geräusch-Geschichten meist kostspielig und Punkte-sensibel sind, ist das zwar eher was für einen Anwalt – aber je besser eure Vorarbeit, desto einfacher hat er es.

Beispiel für eine gültige Messung in 3er-Serie: die erste ergibt 90, die zweite 91 und die dritte 89 dB(A). Der Abstand zwischen höchstem und niedrigstem Wert beträgt die geforderten 2dB(A), passt also (sofern die Mess-Stelle 10dB(A) niedriger protokolliert wurde). Der höchste Wert wird herangezogen. Das Mess-Ergebnis würde auf 91 dB(A) lauten, da der höchste Wert ausschlaggebend ist.

Ungültige Messung: erster Wert wieder 90, zweiter 91, dritter 93. Das Spektrum ist nun größer als 2 dB(A), die komplette Serie damit ungültig (es sei denn, es erfolgt einer weitere, welche nicht aus der Reihe tanzt). Es ist im Vorwurfs-Fall also immens wichtig, dass man die komplette 3er-Reihe vorliegen hat und nicht nur einen wilden Maximal-Wert. Der kann nämlich durchaus ein unverwertbarer Ausreißer sein und reicht alleine nicht aus.

Wie man sieht, ist das Durchführen einer wirklich verwertbaren Standgeräuschmessung abseits von explizit ausgewiesenen Prüfanlagen (die sehr rar gesät sind) alles andere als einfach und verlangt dem Durchführenden einiges ab. Insbesondere, weil alle (!) Vorgaben ausnahmslos erfüllt sein müssen. Zwei von drei reichen nicht. Wir empfehlen im Ernstfall das ruhige, dezente und unaufdringliche Dokumentieren in Form von Bildern und Zeugen (fahrt ihr in einer Gruppe, könnt ihr euch gegenseitig als Zeugen aushelfen). Solltet ihr bereits vor Ort Abweichungen von den Vorgaben bemerken, behaltet das für euch. Es macht keinen Sinn, den Schlaumeier zu spielen. Zum einen gebt ihr dem Ausführenden so die Möglichkeit den ausgemachten Fehler zu korrigieren und ggf. die Messung dank eurer Hilfe in eine gültige zu verwandeln. Und zum anderen können die vor Ort getätigten Äußerungen einem später evtl. nötigen artgerechten anwaltlichen Umgang im Weg stehen oder euch gar belasten. Wir können es nicht oft genug sagen: „Fresse halten und höflich sowie ruhig bleiben“ sind die zwei wichtigsten Verse des Kontroll-Evangeliums des Apostel Lukas, dem Lokomotivführer. Mehr als Namen und Adresse gibt man nicht von sich, maximal vielleicht noch einen Plausch über das Wetter – aber selbst davon raten wir ab. Ganz egal, was suggeriert oder angedroht und an Uniformen und Kitteln aufgefahren wird. Verbaut euch nicht euer angestammtes Recht auf eine faire Verfahrensweise, indem ihr euch vor Ort um den Verstand labert, getrieben von dem wirren Irrglauben, „Einsicht“ würde zu einer milderen Strafe führen oder aus einem Gefühl der Ohnmacht angesichts der aufgefahrenen Übermacht heraus. Das ist durchaus gewollt und gehört zum psychologischen Spiel – hat sachlich jedoch keinerlei Auswirkungen. Vertraut auf euer §-Kung-Fu.

An dieser Stelle muss jedoch auch ganz klar gesagt werden, dass unsere Aufklärungs-Arbeit nicht darauf abzielt, infernalische Brüll-Tüten-Fahrer zu fördern, in trügerischer Sicherheit zu wiegen oder wir gar den Eindruck erwecken wollten, man könne sich aus allem herauswinden. Ganz im Gegenteil. Ist die Kiste tatsächlich auffällig laut, stehen die Chancen sehr gut, dass der Hobel stillgelegt und zwecks Anfertigung eines Gutachtens einkassiert wird. Vollkommen zu Recht! Das wird dann richtig teuer (mindestens mittlerer vierstelliger Bereich plus Anwaltskosten, Gutachten, etc.). Solche Vorgänge sind zudem wasserdicht und lassen sich kaum entkräften.

Uns geht es lediglich darum, das Gleichgewicht in Kontrollen etwas auszugleichen und das Gefüge zu stabiliseren. Und das kann nur über ein starkes Mojo passieren. Insbesondere, da solche konstatierten Aktionen von der (nicht selten schlecht ausgebildeten) Gegenseite gerne mal alles andere als fair gehandhabt werden und es dabei schlicht um das Sammeln einer möglichsten hohen Punktezahl für die nächste Beförderungswelle gilt, denn um wirklich reale Umsetzung von geltendem Recht. Primärziel ist dann oft das massive Einschüchtern und Belabern des Kandidaten, bis dieser den gemachten Vorwurf ermittlungsneutral zugibt – vollkommen egal, ob dieser überhaupt rechtens oder zutreffend ist. Hauptsache der Delinquent unterschreibt vor Ort. Abschussquoten (egal ob legitim oder konstruiert) werden belohnt, sachgerechtes Anwenden gültigen Rechts hingegen nicht. Und genau gegen diesen Systemfehler richtet sich unsere Arbeit. Und das funktioniert nur, wenn man selber einen möglichst guten Wissensstand erreicht. Es ist dabei gar nicht notwendig, den ganzen Zinnober auswendig zu lernen. Es reicht völlig aus, die Sache im passiven Gedächtnis zu parken, so dass im Falle eines Falles eine kleine rote LED im Hinterkopf anfängt zu blinken und den Cortex in den Alarmzustand schaltet. Denn egal, ob sie es über Einschüchterung oder das Kumpel-Prinzip versuchen: die Jungs halten euch nicht an, weil sie euch etwas Gutes tun wollen, neue Freundschaften schließen möchten oder euren Hobel so unfassbare geil finden würden. Ihre und eure Grund-Interessen könnten in der Situation gegensätzlicher nicht sein. Das darf man niemals aus dem Kopf verlieren.